#streetlife: Auf den Straßen von Hanoi

Auf unserer Reise folgten wir dem Duft frisch gebackener Pfannkuchen aber auch dem sonnigen Wetter. Wegen letzterem entschieden wir uns dazu nicht wie geplant Vietnam vom Süden bis in den Norden zu durchqueren, sondern erst zwei Wochen durch Nordvietnam zu reisen und zwei Monate später nochmal vier Wochen für Südvietnam einzuplanen. So wollten wir sicher stellen, dass es nirgends kälter als 20 Grad wird und wir gemütlich in unseren Flip Flops und kurzen Sachen durch die Gegend schlappen können. Pläne umstellen ist immer leichter gesagt als getan und so flogen wir von Bali nach Surabaya, von dort aus nach Saigon und dann weiter nach Hanoi. Wir verbrachten volle zwei Tage mit fliegen und warten und essen und fliegen und kamen mit leeren Akkus und tiefen Augenringen im schlafenden Hanoi an. Wir wurden abgeholt und in unser Hotel gebracht. Trotz der späten Stunde merkten wir bereits, dass diese Stadt unsere europäischen Vorstellung von dem Wort „voll“ sprengen wird.

Das Leben in Hanoi findet auf der Straße statt

In Hanoi leben zu viele Menschen auf zu wenig Platz. Besonders deutlich wird dies einerseits an dem Verkehr, der so zehflüssig durch die Straßen fließt wie ein Twix, das zu lange in der Sonne gelegen hat. Grund für das tägliche Verkehrschaos sind die vielen Motorroller die sämtliche Verkehrsregelungen überflüssig zu machen scheinen. Jeden Tag werden in Hanoi über 500 neue Roller registriert. Unvorstellbar wird dies, wenn man weiß, dass heute bereits über vier Millionen durch die Straßen rollern. Auf den Strasen von Hanoi sind zwischen Autos, Rollern, Menschen und Tieren nie mehr als ein paar Zentimeter. Ähnlich ist es in den Wohnungen im sogenannten Old Quarter von Hanoi. Das Viertel soll seinen alten Charm erhalten und nicht durch immer mehr neue Geschäfte und Hotels entartet werden. Um Neubauten zu verhindern wurden die Quadratmeterpreise auf über 20.000 Euro festgelegt. Der einzige Wohnraum den sich die Hanoier leisten können ist also nur der, den sie seit Generationen besitzen. Eine achtköpfige Familie teilt sich im Old Quarter meistens nur ein paar wenige Quadratmeter. Der winzige Raum ist Wohnzimmer, Schlafzimmer und Geschäft zugleich. Nicht selten hatten die Kellner bereits ihre Schlafanzüge an, wenn wir etwas später in einem der vielen Straßenrestaurants zu Abend aßen. Da drinnen  nicht viel Platz ist, wird in Hanoi auf der Straße gesessen, gegessen, gekocht und gehandelt. Wir haben gesehen, wie Menschen anderen auf dem Bürgersteig die Haare schneiden, Kinder Hausaufgaben machen, Mütter das Mittagessen kochen und Väter entweder am Roller schrauben oder Schweinehälften mit dem Beil zerlegen. Wir erlebten in fünf Tagen Hanoi so viel, dass wir einen ganzen Film darüber drehen könnten. Da wir das aber aus zeitlichen Gründen nicht hinbekommen, haben wir hier ein paar Szenen für euch zusammengeschrieben.

#1 Hinter’m Hof

Das wahre Hanoier Leben entdeckten wir als Angélique am zweiten Tag in eine schmale Gasse zwischen zwei Häuserwenden abbog. In der kleinen Vergewaltigungsgasse hatten wir meiner Meinung nach nichts zu suchen und ich meckerte ohne Ende auf Angélique ein. Während auf der Straße alle wuselig zu Gange waren, war es in den Hinterhöfen ruhig. Es wirkte fast wie ausgestorben. Einige Hühner und Welpen streunten zwischen Blumenkübeln und alten Terrassenmöbeln umher. Kinderspielzeug und halb ausgewaschene Suppentöpfe lagen in der Gegend rum. Die meisten Erwachsenen aus der Nachbarschaft hatten sich auf alten Sesseln um einen großen Holztisch versammelt. Sie zockten Karten, tranken Bier, lachten und winkten uns herüber. Etwas skeptisch liefen wir an ihnen vorbei. Es ging um Geld, also machten wir einen kleinen Bogen um die Runde. Wir ließen uns auf der Couch einer fremden Terrasse nieder. Es roch nach Schweinebraten und verbrannten Gummireifen. Wir richteten unseren Blick auf die Bananenplantage vor uns, blendeten die Müllberge links und rechts aus und atmeten die würzige Stadtluft ein.

#2 Can I speak english with you?

Wir umrundeten den Hoan Kiem See  und da passierte es. Eine Gruppe junger Männer ging erst an uns vorbei, um uns dann von hinten zu umkreisen. „Can I speak English with you?“, fragte einer aus der Gruppe und ich ging im Kopf die Krav-Maga-Griffe durch, die ich kurz vor der Reise in einem eintägigen Kurs erlernt hatte. Von hinten um die Schulter ins Auge greifen und mit einer Drehung den Schwitzkasten lösen? Oder doch eher von rechts unten mit dem Ellenbogen…? Egal…in die Eier treten…immer in die Eier treten. Gefühlt 90 Prozent aller Krav-Maga-Übungen hatten das Ziel irgendwie einem in die Eier treten zu können. Während ich gedanklich abschweifte und mir überlegte ob ich meine Frühstückseier morgen fried, Scrabble, oder lieber als omlette hätte, sagte Angélique einfach – okay. Und schon hagelte es schlechte englische Sätze von links und rechts. Wie wir heißen, wo wir her kommen, in welchem Hotel wir wohnen, ob uns die Stadt gefällt und was wir von Hanoi halten, wollten die Jugendlichen von uns wissen. Nachdem wir verstanden hatten, dass es sich hier um eine spontane Unterrichtseinheit handelte, spielten wir einfach mit. Wir erfuhren, dass selbst die Aussprache des Englischlehrers so schlecht ist, dass die Studenten nur von den Touristen lernen können. Wir nutzten die Gelegenheit und fragten die Jungs nach ihren Interessen, den Lebensverhältnissen in Vietnam und ihrer Weltsicht aus. Wir freuten uns riesig, das wir als Einzige das Glück hatten diese zufällige Begegnung gemacht zu haben.

„Excuse me, can we speak english with you?“, sprachen uns drei schüchterne Mädchen keine fünf Minuten später von der Seite an. Huch, das ist ja ein Zufall, dachten wir uns. Aber gut, warum nicht. Vielleicht hatten die drei noch mehr interessanten Geschichten für uns und es ist auch super interessant auch mal die Welt durch vietnamesische Mädelsaugen zu sehen. Doch irgendwie stellten uns diese drei zufällig genau die gleichen Fragen wie schon die drei Jungs zuvor und langsam beschlich uns das Gefühl, das wir wohl doch nicht die einzigen Touristen waren, die hier am Hoan Kiem See angesprochen und um ein Interview gebeten wurden.

#3 Zwischen Familienfotos und Kuscheltieren

Mango ist eine lustige Vietnamesin, die so schlecht Englisch spricht, dass wir nur raten konnten was sie erzählt. Trotzdem war sie der Guide unserer Streetfood-Tour und redete ununterbrochen ohne Punkt und Komma auf uns ein. Alles was wir verstanden war, dass sie „sticky rice“ sagt sobald wir gemeinsam die Straße überqueren mussten. Das war unser Kommando dafür uns so nah wie möglich an sie zu schmiegen und ihr willenlos über die Straße zu folgen. Die Millionen von Rollern wichen uns dann geschickt aus und keiner starb. Cool.

Plötzlich bogen wir in eine kleine Gasse ein, liefen durch ein Treppenhaus, betraten ein kleines Wohnzimmer und setzten uns an einen kleinen Holztisch. Im Familienfernseher lief eine vietnamesische Soap, neben dem Esstisch reparierte ein Mann gerade seinen Roller. Die Zwei Frauen auf der Couch begrüßten uns freundlich. Die Jüngere zog ihrem kleinen Sohn den Pyjama an und brachte ihn ins Bett, die Ältere ging in die Küche und machte uns etwas zu essen. Wir schauten uns die Familienporträts an den Wänden an und redeten über das nächste „Restaurant“ das wir besuchen würden. Ich fragte nach der Toilette und wurde in Richtung Flur durchgewunken. Ich musste kurz warten, da sich ein 14-jähriger gerade darin die Zähne putzte. Für uns ist solch ein Leben sicher unvorstellbar. Aber für Privatsphäre ist in Hanoi einfach kein Platz.

#4 Musikalische Reise durch Australien

Am Nachmittag verirrten wir uns in das Xofa Café. Hinter Mac-Bildschirmen saßen vietnamesische Hipster und lernten für die Uni. Die Atmosphäre war so entspannt und der Kaffee so gut, dass wir ein paar Stunden dort verbrachten. Ein Flyer wies uns auf The Hanoi Social Club hin. Was sich zunächst eher elitär anhört, ist das Projekt eines Australiers der mit einem kleinen Restaurant und guter Live-Musik Menschen in Kontakt bringen möchte. Da uns dieser Laden auch schon von einem meiner früheren Arbeitskollegen empfohlen wurde, liefen wir dort Abends ein. Am Anfang noch sehr ruhig, füllte sich die Stube langsam und Matt Montez betraten die Bühne. Das Duo mit den langen Haaren, den Hippieklamotten und den Armbändchen erinnerte an ein australisches Surferpärchen, welches sich das ganze Leben lang von der Musik an die verschiedensten Orte der Welt treiben lässt. Umso mehr erstaunte es uns, dass der Sänger Matt bis vor zwei Jahren als Programmierer für PlayStation in London gearbeitet hat. Als wir uns mit den beiden nach der Show unterhielten erfuhren wir noch mehr über ihren Entschluss alles hinter sich zu lassen, um Musiknomaden zu werden. Die Reise der beiden begann in Australien. Dort schrieben sie auch die Songs für das erste Album. Natürlich kauften wir ihre CD, obwohl wir kein Gerät dabei haben das diese spielen könnte. Aber mit ein bisschen Glück, befindet sich ein CD-Spieler in unserem Camper. Dann werden wir die Musik von Matt und Gem hören, während wir ihren musikalischen Spuren durch die weiten Straßen Australiens folgen.

#5 Der Geheimtipp

Während wir die Stadt durchforsteten gab uns einer meiner ehemaligen Arbeitskollegen ein paar Tipps. Wir freuten uns so sehr darüber, dass wir am nächsten Tag gleich der ersten Beschreibung folgten und uns auf die Suche nach einem kleinen, aber wohl äußerst besonderen Tempel in einem Hinterhof begaben. Wir fanden den beschriebenen Hauseingang nicht von selbst und sprachen ein junges vietnamesisches Pärchen an, welches sogar sehr gutes Englisch sprach. Von einem Tempel in dieser Gegend hatten sie aber noch nie gehört. Wir fragten einen älteren Mann, der so aussah als hätte er sein ganzes Leben in der Seitengasse verbracht, in der er saß und wurden einen Block weiter geschickt. Hier fanden wir uns jedoch nur vor einem kleinen Hausaltar wieder. Die dritte Nachfrage führte uns zu einer Tür mit bunten Fähnchen. Leise schlichen wir uns rein und fanden uns inmitten einer Kindergartengruppe wieder. Verdutzte Gesichter signalisierten uns, dass wir auch hier falsch waren. Nachfrage vier führte uns zu einem Museum eines traditionell eingerichteten vietnamesischen Hauses und Nachfrage fünf ins Nirgendwo. Wir liefen die Straßen rauf und runter, schauten nach links und nach rechts, fragten immer wieder nach und zwei Stunden später fanden wir – nix. Den Bewohnern des Viertels fielen langsam die zwei weißen Menschen auf, die gefühlt jeden Hauseingang durchsuchten. Bevor wir verhaftet wurden, verließen wir das Viertel schließlich. Ein Geheimtipp ist eben auch deshalb ein Geheimtipp, weil der Ort geheim ist, dachten wir uns und machten uns auf die Suche nach einem geheimen Café mit grandiosem Seeblick.

3 Comments

  • Alea sagt:

    Hi ihr beiden. Schön geschrieben, man reist förmlich mit Euch mit.
    Aber vielleicht ist das jetzt gerade nur bei uns so krass der Fall, da wir in Hanoi im Hotelzimmer sitzen und uns fertig machen.
    Der letzte Tag bricht für uns ein, dann fliegen wir in den Süden.

    Davor suchen wir uns noch einen ruhigen Platz und chillen.
    Die Stadt kann auch anstrengend sein und das Wetter hat leider nicht mitgespielt,
    aber dafür die Menschen, der Verkehr und all die typischen Sachen die halt in solch einer Stadt passieren.
    Scooter die einen fast – aber nur fast – überfahren, Fleischer die ihre Waren auf dem Boden präsentieren und Leute die sich die Haare am Straßenrand kürzen lassen.

    Unglaublich. Aber halt auch schön – für eine gewisse Zeit.

    Euch beiden eine wundervolle Weiterreise.
    Ich glaube ihr seid auf dem Weg nach Laos. Wir wünschen Euch, dass ihr in Luang Prabang eine tolle Zeit habt und falls ihr vor habt mit dem Slow-Boat nach Thailand zu reisen: ! Achtet auf das Wetter ! Wir sind da ziemlich in die Kacke getreten und fuhren bei 2 Grad von Thailand, über dem Mekong, nach Laos… eine Katastrophe und als Ehemann sage ich dir, dass möchte keine Frau 2 x mal erleben.

    Passt auf Euch auf.
    Wir veröffentlichen zeitnah evtl. auch ein paar Bilder aus Hanoi – unter http://www.alealife.tumblr.com

    Vielleicht sieht man sich ja auf der Reise.

    Peace und kühle, graue Grüße aus Hanoi.
    Alexandros und Lea

    • janeisenkrein sagt:

      Liebe Lea, Lieber Alexandros,

      danke für euren tollen Kommentar und eure Eindrücke aus Hanoi. Wir sind von Can Tho ganz im Süden bis nach Hue in Zentralvietnam gereist und haben in den vier Wochen einiges gesehen und erlebt. Zwischen Hoi An und Nha Trang gibt es eine Ort namens Quy Nhon und da in der Nähe liegt ein kleines Fischerdörfchen am Bai Xep Beach. Wir waren sechs Tage dort und hatten einen Bungalow direkt am Strand von dem aus wir direkt aufs Meer gucken konnten. Die Unterkunft in der wir waren heißt „Life`s a beach“ und nenbenan gibt es noch das Heaven und das Big Tree. Also falls ihr in der Nähe seid, schaut dort mal vorbei. Es lohnt sich.

      Für uns geht es für die nächsten drei Monate nach Australien. In Laos und Kambodscha waren wir schon, hängen nur mit dem Schreiben etwas hinterher :-)

      Liebe Grüsse, euch eine schöne Reise und vielleicht kreuzen sich unsere Wege ja tatsächlich Mal

      Cheers
      Jan

  • Andrej sagt:

    Interesannter Beitrag, schöne Fotos.
    Angelique salutierte ganz süß, zwar mit der falsche hand, aber süß.
    I glaube ich würde Kopfschmerzen kriegen von dem ganzem Trudel auf der Strasse, sehr interessant.
    Euch eine spannende weiterreise.

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