San Francisco: Stadt der Kontraste

Großstadt und Camping in den USA passen einfach nicht zusammen. Der viele Verkehr, die wenigen Parkplätze und die überteuerte Stellplätze lassen einen Städtetrip schnell zur Zerreißprobe werden. Der Antony Chabot Campground war der einzige in Stadtnähe und erwies sich zudem als Preiswerte Alternative zu AirBnB Wohnung oder Jugendherbergen. Zwar mussten wir eine lange Zugfahrt zur Innenstadt in Kauf nehmen, konnten jedoch unser Auto sicher und direkt an der Zugstation parken. Am ersten Tag nutzten wir die städtische Infrastruktur, um Wäsche zu waschen, einzukaufen und die vielen anderen Dinge zu erledigen, die auf einem Roadtrip hin und wieder anfallen. So konnten wir am nächsten Morgen entspannt zum Visitor Center fahren, um einen Plan für die nächsten drei Tage zu machen. Zwar hatten wir schon ein paar Empfehlungen bekommen und wollten den ein oder anderen Insider-Tip nicht auslassen, jedoch wussten wir nicht so richtig wo wir anfangen sollten. Dank der super freundlichen Mitarbeiterin des Visitor Centers entschlossen wir uns dazu am ersten Tag die Umgebung zu Fuß zu erkunden, für den zweiten Tag Fahrräder zu leihen und am dritten Tag ein Museum oder eine Ausstellung zu besuchen.

Das touristische San Francisco

Am ersten Tag erkundeten wir den touristischen Teil von San Francisco. Wir starteten auf der Market Street am Visitor Center und liefen zunächst  an der Haltestelle des Cable Car vorbei, da die Schlange für die Fahrt mit dem  inoffiziellen Wahrzeichen der Stadt unangenehm lang war. Die meisten Touristen zahlen den horrenden Preis eher des Fotomotivs als des Transportmittels wegen und stehen Stunden lang an für einen kurzen Klick. Wir gingen an der Schlange vorbei und wunderten uns, dass keine 200 Meter weiter ein leeres und unbewachtes Cabel Car auf den Gleisen stand. Also schnell drauf da, Foto schießen und weiter. Von Chinatown waren wir ziemlich enttäuscht. Die Straßen waren zwar gesäumt von asiatischen Geschäften und die obligatorischen Lampions hingen über den Straßen,  jedoch waren diese von der Mittagshitze leergefegt versprühten Tristesse. Viel besser Schnitt Little Italy ab, denn hier reihen sich süße kleine Cafés an stylische Second Hand Läden und Boutiquen. Nach einem kurzen Stop am Colt Tower, bei dem wir einen ganz guten Blick auf die Stadt und noch einen besseren auf die ehemalige Gefängnisinsel Alcatraz bekamen, gingen wir weiter zum berühmten Pier39. Trotz des sehr touristischen Ambientes, lässt es sich hier äußerst gut flanieren. Wir aßen die berühmte Clamshoulder (Muschelsuppe in Sauerbrotteig), stöberten durch den Marvel Fanshop, probierten Hüte an in einem urigen Vintage-Laden und fanden sogar einen Shop, der sich nur auf den Verkauf von Zauberei spezialisierte. Da unser Campground aus Sicherheitsgründen um 22 Uhr die Tore versperrt brachen wir rechtzeitig auf, um nicht die letzte Bahn zu verpassen. Es ist ein merkwürdiges Gefühl morgens im Auto auf einem Campingplatz aufzuwachen, Tagsüber durch das schicke San Francisco zu laufen und abends wieder Dosensuppe am Lagerfeuer zu essen. Der Gegensatz zwischen dem uns noch in Erinnerung gebliebene Stadtleben und dem Vagabunden-Dasein der letzten 9 Monate ist einfach zu krass.

Aliens in San Francisco

Am nächsten Morgen holten wir unsere Leihfahrräder in der Nähe der Markthalle ab und bekamen direkt den ersten Dämpfer. Der Typ vom Fahrradverleih riet und von unserer geplanten Route durch das Mission- und Haight-Ashbury-Viertel ab, da es zu gefährlich sei und wir den größten Teil sehr Steile Straßen hinauf strampeln müssten. Wir waren durch seine Worte zwar leicht verunsichert, dachten uns dann aber – ach, was weiß der den schon. Wir stellen die Sattel ein, schnallten unsere Fahrradhelme fest und strampelten in südlicher Richtung raus aus Downtown. Anfangs waren die vielen Autos und Touristenbusse, sowie die unübersichtliche Verkehrsführung etwas fordern, jedoch hatten wir uns darauf eingestellt. Worauf wir uns definitiv nicht eingestellt hatten war die Intensität mit der sich das Straßenbild in San Francisco verändern kann.

Als wir in eine Querstraße abbogen fühlten wir uns wie in Training Day. Ausgemergelten Gestalten wanderten wie Zombies durch die Straßen und redeten wirr vor sich hin. Verrückte spuckten und fauchten jeden an der sich ihnen im Vorbeigehen näherte. Verwahrloste Menschen schoben Einkaufswagen mit dem wenigen Hab und Gut, das sie noch nicht gegen irgendwelche Drogen eingetauscht hatten vor sich hin, während Muskulöse starke schwarze Männer ihre Goldketten genauso auffällig trugen, wie ihre Waffen. In mitten dieser Kulisse in der Ghettoslang durch die Luft pfiff und nur von den wummernden Beats aus den Lowridern verschluckt wurde,  sahen wir auf unseren City-Rädern, mit den albernen Wimpeln und unseren viel zu kleinen Fahrradhelmen auf den Kopf aus wie Aliens. Und so wie uns der ein oder andere Crackhead abgeschaut hatte, wurden wir von den meisten Bewohnern dieses Viertels auch dafür gehalten. Das beste was man in so einer Situation machen kann ist natürlich sich zu verfahren, um dann mitten in der Hood stehen zu bleiben und auf einen riesigen Stadtkarten-Faltplan gucken zu müssen. Selten in meinem Leben war ich so unentspannt wie in diesem Moment. Hätte ich Angélique nicht dabei, wäre ich wahrscheinlich orientierungslos so lange im Kreis gefahren, bis mich jemand erschossen hätte. Aber zum Glück hatte sie den Durchblick und in der nächsten Straße, war es so, als hätte jemand eine Fototapete vor das Elend gezogen. Wir standen in einer ruhigen Seitenstraße volle Hipper und gesund aussehender Menschen, und holten uns einen Kaffee in einem kleinen Laden, vor dem sich einen kleine Schlange gebildet hatte. Meistens ein gutes Zeichen dafür das es richtig guten Kaffee gibt und auch diesmal wurden wir nicht enttäuscht. Angélique mischten sich zunächst lässig unter die Hippster und stellte sich in die Kaffee-Schlange, jedoch gelang ihr die Integration nicht so gut, da sie vergessen hatte ihren Fahrradhelm abzunehmen – und ich mit den Fahrrädern um die Ecke wartete.

Ohne Plan und ohne Geld

Gerade als  wir uns etwas akklimatisiert und an die Kontraste der Stadt gewöhnt hatten, folgte schon das nächste Unglück. Ohne es zu merken hatte ich die Stadtkarte verloren. Natürlich ist mir dies erst aufgefallen, als wir gerade an der Spitze einer äußerst langen und äußerst steilen Straße anhielten, um nach dem Weg zu schauen. Ohne zu zögern fuhr ich direkt zurück und suchte die Straßen die wir gefahren waren ab, um die Karte zu finde und so den Zorn den ich in Angéliques Augen sah von mir abzuwenden. Über 20 schweißtreibende Minuten später konnte ich leider nur mit leeren Händen zurückkehren. Während für Angélique die Suchaktion vorbei war und sie bereits  auf die andere Straßenseite fuhr und mir signalisierte, dass ich ihr folgen solle, lies ich mich zu einem weiteren Versuch die Karte zu finden hinreißen und fuhr in die Entgegengesetzte Richtung. Es kam wie es kommen musste und als ich zurück auf der Kreuzung war an der wir uns getrennt hatten, war von Angélique keine Spur mehr. Ein erster Panikschub machte sich in mir breit, da ich erahnte was nun passieren würde. Kennt ihr das wenn man sich beim Einkaufen aus den Augen verliert und beide gefühlt eine Stunde lang durch den Supermarkt rennen, um den anderen  zu finden, aber genau dadurch sich immer wieder verpassen? Wenn man jetzt bedenkt, dass man sich nicht im Supermarkt, sondern in einer Großstadt wie San Francisco aus den Augen verloren hat, kann einem schon Mal angst und bange werden. Ein zweiter Panikschub durchzog mich, als ich mir vorstellte wie lange es wohl dauern würde, bis ich mit meinem Ausgezeichneten Orientierungssinn, zurück zum Campingplatz finden würde. Zum Glück konnte ich mich noch daran erinnern, dass wir eigentlich die Painted Ladies, einen Reihe von bunten viktorianischen Häuschen, besichtigen wollte. Diese waren nur zwei Querstraßen entfernt und lagen auch in der Richtung in der ich Angélique das letzte Mal sah. Ich strampelte so schnell ich konnte dahin und sah sie mit gerötetem Gesicht und Tränen in den Augen auf einer kleinen Wiese sitzen. Von dem Donnerwetter, das als nächstes folgte bekamen wir irgendwann Hunger und fuhren zum Golden Gate Park, um eine Hot Dog zu essen und uns einen Eindruck von dem de Young Museum zu verschaffen. Wir bekamen im Visitor Center den Tipp, dass die Ausstellung im Erdgeschoss umsonst sei und man auch kostenlos in das oberste Stockwerk fahren konnte, welches größtenteils aus Glasfassaden besteht. Das Obergeschoss des Museums bot uns  einen wunderbaren Blick auf die Stadt. Wir hatten gehört, dass Max Hollein das de Young erst vor kurzem übernommen hatte, wollten uns eigentlich auch einen Eindruck davon verschaffen. Wir mussten jedoch zwischen dem de Young und dem kürzlich wiedereröffnetem Museum of Modern Art wählen, da wir weder genug Geld noch Zeit für beides hatten und uns für letzteres entschieden um genug Zeit für die Golden Gate Bridge zu haben.

Einen der beste Blick auf die Golde Gate Bridge bietet die Conzelman Road, jedoch liegt diese bereits in der Golden Gate Recreation Area nördlich von San Francisco und war für uns leider unerreichbar, da wir die Fahrräder um 17 Uhr zurückbringen mussten und noch einen langen Weg vor uns hatten. Wir fuhren Richtung Golden Gate Bridge und versuchten so nah wie möglich an der Küste zu bleiben, um einen geeigneten Foto-Spot zu finden. Nach ein paar kurzen Stopps, die uns nicht zufrieden stellten, entdeckte  Angélique einen Betonbunker unmittelbar an der Küste. Als wir diesen erreichten, mussten wir feststellen das es keine Treppe gab, sahen jedoch ein paar Skater auf dem Bunker ihre Tricks üben. Hätten wir sie nicht gesehen, wären wir wahrscheinlich wieder umgekehrt, da es an diesem Ort etwas unheimlich war und es ganz schön nach Urin gerochen hatte. Wir schlossen unserer Fahrräder an einem Geländer ab, kletterten den Bunker hoch und kawuuum – was für eine Aussicht! Wir konnten unseren Augen nicht trauen, da wir niemals an einem so hässlichen Ort einen so gigantischen Ausblick auf die Golden Gate Bridge erwartet hätten.

Noch voller Glückshormonen über unseren Fund fuhren wir keine zehn Minuten später über die Golden Gate Bridge und ließen uns den Wind um die Nase pfeifen. Es ist schon ein bemerkenswertes Gefühl über diese rostrote Brücke mit ihren riesigen Stahlträgern zu fahren. Natürlich ist es voll und laut, da die Autospur unmittelbar neben der Fahrradspur verläuft. Es ist windig, kalt und man muss die ganze Zeit aufpassen nicht von einem der Rennradfahrer angerempelt zu werden, die in Gruppen über die Brücke zu den Marine Highlands rasen. Aber während wir auf diesem weltberühmten Wahrzeichen in die Pedale traten, machte sich in uns ein wohliges und befreiendes Gefühl breit, das man nur schwer in Worte fassen kann. Einmal im Leben mit dem Fahrrad über die Golden Gate Bridge zu fahren, ist weniger romantisch als es vielleicht klingt und viel befreiender als man vielleicht denkt.

Zurück am Ferry Building konnten wir uns erst nicht entscheiden was wir essen wollten, um dann festzustellen, dass wir auch gar nicht genug Geld hatten, um uns etwas zu kaufen. Als wir dann in der hintersten Ecke der Markthalle einen Bankautomaten fanden und direkt 400 Dollar abheben wollten, hatte dieser einen Fehlfunktion und spuckte nur zwei geschredderte 20 Dollar Scheine aus. Wir blockierten den Automaten, weil wir befürchteten, dass unser Geld nur stecken geblieben war und der nächste am Bankautomat entweder unser Geld erhält oder ebenfalls leer ausgehen würde. Nach über  50 Minuten in der Warteschlange des Service-Telefons der Bank of America, die diesen Automaten betreibt, gaben wir auf und traten hungrig, frustriert und um 400 Dollar ärmer den Rückzug zu unserem Campground an.

Zwischen Straßenkunst und Modern Art

Am letzten Tag unseres San Francisco Besuchs entschlossen wir uns endlich das Mission Viertel zu besuchen und die Wandgemälde (Murals) zu besichtigen. Nachdem wir etwas verunsichert durch die Straßen liefen und uns erst wieder an den Mix aus Obdachlosen, Drogensüchtigen, Gangstern und Hipstern  gewöhnen mussten, bogen wir in die berühmte Clarion Alley ein. Hier fanden wir die grandiosen Graffitis, die überwiegend gesellschaftspolitischen Themen aufgriffen oder Tribut den großen Persönlichkeiten der Menschheitsgeschichte zollten. Am liebsten hätten wir jedes dieser Bilder auf Leinwand gespannt und in unserer persönliche  Galerie gehängt, da jedes von Ihnen künstlerisch brillant ist und zudem einen faszinierende Geschichte erzählt. Nachdem wir die Straßen einmal durchquert hatten und eine mysteriöse Gestalt unsere Verfolgung aufnahm, entschlossen wir uns schnell weiter zu gehen und der Empfehlung eines Freundes zu folgen, um die besten Burritos des Viertels zu essen – welche sich als beste Burritos unseres Lebens erwiesen.

Zum Abschluss unseres dreitägigen San Francisco Besuchs stand das San Francisco Museum of Modern Art auf unserer To-Do-Liste des gediegenen San Franciso Städtetrips. Wir hatten uns schon lange darauf gefreut und einen halben Tag dafür eingeplant. Die Erwartungen waren hoch und nach den Hochs und Tiefs der letzten Tage hätten wir eigentlich ahnen müssen, dass auf jede Überraschung in San Francisco für uns eine Backpfeife folgt.

Während wir auf der Busfahrt zum San Francisco Museum of Modern Art wenigsten noch ein paar abgefahrene Szenen in Ecken von San Francisco gesehen hatten, in die wir uns niemals zu Fuß getraut hätten, sahen wir im SFMoMa wenig Spannendes – und das für den 20fachen Preis einer Busfahrkarte. Vielleicht lag es daran, dass wir zu hohe Erwartungen hatten oder daran,  dass wir bereits einige Kunstmuseen in Melbourne und Sydney besucht hatten, die größer, interessanter und vor allem umsonst waren. Aber leider hatten wir nach zwei Stunden bereits alles im Museum of Modern Art gesehen und waren nicht mehr davon begeistert als von den Murals die sich in der ganzen Stadt erstrecken. Im Nachhinein hätten wir uns lieber das SFMoMa sparen, vielleicht eher dem de Young eine Chance geben, aber auf jeden Fall mehr Zeit auf den Straßen von San Francisco verbringen sollen – denn dort zeichnen die Kontraste die wirklich beeindruckenden Bilder dieser Stadt.

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