Nach einer langen Fahrt voller Vorfreude erreichten wir das Visitor Center des Grand Canyon Nationalparks. Wir wussten nicht viel über den Grand Canyon. Klar, es ist eine große Schlucht, das weiß jeder. Aber, dass diese Schlucht gigantische 450 Kilometer lang ist, wussten wir nicht. Wir wussten auch nicht, dass allein die schmalste Stelle des Grand Canyon sechs Kilometer breit ist, dass der tiefste Punkt 1.800 Meter misst und auch nicht, dass bereits vor 2000 Jahren die als Anasazi bekannten Völker das Gebiet besiedelten – und vor knapp 700 Jahren einfach verschwanden. Am wenigsten wussten wir darüber Bescheid, wie der Grand Canyon erstanden ist. Uns war nicht bekannt, dass vor 70 Millionen Jahren durch einen Hebungsprozess die Rocky Mountains entstanden und somit den natürlich Abfluss des Colorado Rivers blockierten. Der gigantische Fluss suchte sich einen neuen Weg, Grub sich Millionen Jahre lang durch das Gestein und fräste somit das heutige Schluchtenpanorama des Grand Canyon.
Und obwohl wir das alles nicht wussten, waren wir wie erstarrt, als wir das erste Mal den Grand Canyon erblickten. Dieser unvergessliche Moment indem der Mund aufgeht, das Herz einen Schlag aussetzt und man vor grenzenloser Begeisterung sogar vergisst den Fotoapparat zu zücken, kann man nur mit einem einzige Wort beschreiben – Wow!
1000 Bilder pro Sekunde
Nachdem die erste Euphorie verflogen war, sahen wir uns den sogenannten South Rim des Grand Canyon an. Von den fünf Millionen Besuchern, die das Naturwunder jährlich anzieht, treffen die meisten am Südrand des Canyon an. Verständlich das hier so viele Bilder geschossen werden, dass sich das Klicken der Kameras schnell zu einem Surren entwickelt und wie ein 70er Jahre One-Hit-Wonder-Ohrwurm die meisten Köpfe erst am nächsten Tag verlässt. Trotzdem ist allein der Südrand des Grand Canyon so gewaltig, dass man auch hier schnell abgelegen Plätze findet, um eine menschenleeres Fotomotiv zu bekommen. Wir wählten den Mather Point für unsere erste Foto-Session und trafen dort auf eine quirlige Portlanderin, die so begeistert vom Grand Canyon war, dass sie mit inbrünstiger Leidenschaft den Fotografenjob für uns Übernahm – und uns sogar Antrieb, wenn wir nicht dem Motiv würdig genug posierten. Da wir bereits einen Übernachtplatz am Ten-X-Campground gesichert hatten, konnte wir den Ausblick genießen, liefen den Südrand ab und auf, knipsten hier und da ein Bild und entschieden uns dafür die Tracks in den darauf folgenden Tagen zu laufen.
Wir wählten für unsere erste Tour den Bright Angel Trail, der nicht an der Kante verlief sondern hinunter in den Canyon ging. Wir hatten 1,5 Meilen vor uns, die wir dann wieder hoch laufen mussten und waren am Ende der Tour froh, dass wir uns dafür entschieden nicht die Drei-Meilen-Tour gemacht zu haben. Zum einen ist der Abstieg in den Canyon nicht zu vergleichen mit den wahnsinnigen Ausblicken die man von Oben auf die Schluchtenlandschaft bekommt. Zum anderen ist der Aufstieg eine schweißtreibende Angelegenheit, die bei sommerlichen Temperaturen keine Freude bereitet. Unten angekommen konnten wir nicht so richtig nachvollziehen, warum dies der beliebteste Treck im Grand Canyon sein soll. Zwar hatten wir immer Mal wieder wundervolle Aussichten, jedoch lief sich das Bild schnell tot, da es auf der Strecke keine Abwechslung bot. Für den Rest des Tages hatten wir uns vorgenommen die verschiedenen Aussichtspunkte abzuklappern. Glücklicherweise verkehren im Grand Canyon kostenlose Shuttel-Busse im Viertelstundentakt. Wir fuhren zum Mojave Point, liefen einen Teil der Strecke bis nach Abbis, fuhren mit dem Bus zu Hermits Rest und liefen auf dem Rückweg nochmal die Strecke vom Powel zum Hopi Point. Die Aussichten an jedem dieser Punkte sind gigantisch. Und immer wenn man gerade das Gefühl bekommt genug vom Grand Canyon zu haben, tut sich eine neue Facette auf. Man sieht auf einmal den Colorado River, oder entdeckt neue Farbtöne, man fängt an Tier- oder Fantasiewesen in die riesige Gesteinsbrocken hineinzuinterpretieren, oder staunt einfach immer wieder darüber welch ein Kunstwerk Mutter Natur an diesem Ort geschaffen hat.
Und dann schickten sie mich nach Vietnam
Am nächsten Tag fuhren wir mit dem Shuttel früh morgens zum Yaki Point, genossen die Aussicht und entschieden uns dann dafür zum Startpunkt des South Kaibab Treck zu laufen. Im Nachhinein betrachtet, stellte sich dies als unsere beste Grand Canyon Erfahrung heraus. Hier am frühen Morgen, ganz allein auf einem inoffiziellen Trail unterwegs zu sein, gab uns das Gefühl ein kleines Stück des großen Canyons auf eigene Faust entdeckt zu haben. Der South Kaibab Treck gefiel uns viel besser als der Bright Angel, nicht zuletzt weil wir hier viel mehr Spaß mit den Eichhörnchen hatten, die überall das Essen der Touristen klauten. Auf halber Strecke trafen wir dann noch auf eine Muli-Karawane und sahen echte Cowboys – oder das, was von diesem früher sicherlich abenteuerlichen Lifestyle noch übrig war. Zum Abschluss fuhren wir den Desert-View-Drive entlang und konnten den Grand Canyon nochmal aus ganz unterschiedlichen Perspektiven bestaunen. Auf dem Weg zum Lake Powel kamen wir an einigen der vielen Souvenir-Verschlägen der Navajo Indianer vorbei. Zwar hatten wir bereits davon gehört, dass die Indianer in den USA in Reservaten langsam aussterben, jedoch versteht man es erst, wenn man es mit eigenen Augen gesehen hat. Mitten im nirgendwo, ohne urbaner Infrastruktur, ohne Jobs und ohne Perspektiven leben Menschen, die die Hoffnung schon längst aufgegeben haben. An den Reservaten im Navajo Land sieht man, dass definitiv die Cowboys und nicht die Indianer den Krieg gewonnen haben, denn sie seit Jahrzehnten kämpften. Und obwohl die Indianer später sogar die Kriege der Cowboys ausfochten, haben sie dafür nicht mehr bekommen als ein verdorrtest Stück Land am Rande der Gesellschaft. Ebenso wie der Schmuckverkäufer, denn wir in einem der Souvenir-Verschläge trafen. Nach einer Kindheit ohne Ausweg und dem Gefühl im eigenen Land gefangen zu sein, meldete sich Shoshawn freiwillig in der US Army. Als er hörte, dass wir aus Deutschland kamen erinnerte er sich daran, dass er 1969 auch in Deutschland stationier war: „Und dann schickten sie mich nach Vietnam“, erzählte uns Shoshawn. Der Wehmut und der Schmerzt in seiner Stimme erzählten seine Geschichte zu Ende, ohne dass wir danach fragen mussten. Denn am Ende einer langen und für uns unvorstellbar harten Reise, verkauft er heute selbstgemachte Armbändchen in einem Souvenir-Verschlag irgendwo im Nirgendwo auf dem Land der einst stolzen Navajo-Indianer.
Am Rande des Lake Powell
Der Lake Powell entstand in den 60er Jahren durch die Aufstauung des Colorado River an der Ostseite des Grand Canyon und lockt mit vielen Sehenswürdigkeiten jährlich zahlreiche Besucher an. Als Teil der Glen Canyon National Recreation Area gibt es hier wunderschöne See- und Berglandschaften zu bewundern, die auch wir uns nicht entgehen lassen wollten. Unser Start am Lake Powell verlief leider etwas holprig. Nachdem wir viel später als gedacht ankamen, mussten wir die erste Nacht auf einem Campingplatz verbringen. In der Regel versuchen wir dies immer zu vermeiden und schlafen auf vergleichsweise günstigeren Campgrounds oder in der freien Natur. Am nächsten Tag wollten wir es besser machen und den Tag am See verbringen. Doch stattdessen verbrachten wir ihn damit uns darüber zu streiten wo wir als nächstes hin oder nicht hin wollten. Und da es nicht einmal mobiles Internet gab, mussten wir unser Scharmützel auch noch im nahegelegenen Schnellrestaurant ausfechten. Am Ende des Tages stand dann fest, dass wir weder den Antelope Canyon, noch die Coyote Buttest besuchen konnten, weil das eine zu teuer und das andere nur mit einer Genehmigung möglich war, die man mehrere Monate im Voraus beantragen muss. Dieses Problem hatten wir schon öfters in den wenigen Wochen unserer Reise durch die USA. Aufgrund der Camping-Begeisterung der Amerikaner aber auch der vielen Reisenden, sind viele der Highlights entweder extrem teuer oder schon Monate im Voraus ausgebucht. Nicht alles ist Gold, was auf einer Weltreise glänzt und der Traum vom spontanen, grenzenlosen und leichtmütigem Reisen gehört leider dazu. Nachdem wir frustriert zu unserem Campingplatz am Lone Rock zurückkehrten, zog auch noch ein starker Wind auf, der uns selbst die Abendstunden am Lagerfeuer raubte. Hinzu kam auch noch, dass wir uns nicht entscheiden konnten ob wir als nächstes in den Zion oder den Bryce Nationalpark fahren sollten. Und genau an dieser Stelle explodierte das Pulverfass der Gefühle.
Emotionaler Showdown an der Horseshoe Bend
Obwohl Angélique normalerweise der Speziallist für weinerliche Ich-Weiß-Nicht-Mehr-Weiter-Sessions ist, hatte ich diesmal einen Knoten im Kopf. Mir war alles egal, ich hatte auf nichts Bock und wollte auch weder etwas sehen, hören noch fühlen. Und was macht ein Liebespaar in so einem Moment? Genau, so lange streiten, bis einer heult. Während wir uns zunächst wild gestikulierend von einer Klippe zur anderen kämpften, kam irgendwann der Punkt an dem keiner mehr etwas zu sagen hatte und jeder in seine Ecke ging. Verbringt man soviel Zeit als Paar miteinander wie auf einer langen Reise, kristallisieren sich so manche Muster heraus. So auch bei unseren Streits, die meisten wie folgt ablaufen. Einer sagt was, der andere fühlt sich beleidigt und macht einen auf Leberwurst. Der eine will es wieder kitten, aber die Leberwurst wird gemein. Jeder verharrt auf seiner Meinung, die Emotionen schaukeln sich hoch, keiner gibt nach und irgendwann gibt es nichts mehr zu sagen. Jeder geht in seine Ecke und an dieser Stelle kommt es zum Scheitelpunkt – denn hier muss einer nachgeben und mit einer Entschuldigung angekrochen kommen. Und so lange dieser Mechanismus funktioniert, geht eine Beziehung weiter. Zum Glück rauften wir uns auch diesmal wieder zusammen und dann war alles irgendwie auch gar nicht mehr so schlimm und man wusste auch nicht mehr so richtig was eigentlich war. Fast hätten wir sogar im Eifer des Gefechts die atemberaubende Horseshoe Bend (eine felsige Kurve des Colorado River) verpasst. Aber der Wind an den felsigen Klippen blies uns die Sorgen aus den Köpfen und verwehte die immer wieder aufkommen Zukunftsängste. Leider blies der Wind auch weiter als wir am Abend wieder am Lone Rock ankamen und deshalb schon wieder auf die von uns geliebte Lagerfeuerromantik verwehte. Nachdem wir uns entschieden hatten zuerst in den Zion Nationalpark zu fahren, entdeckten wir in unserem Reiseführer einen Geheimtipp – den sogenannten Rim Rock. Also fuhren wir der Beschreibung nach zum Cottonwood Canyon und hielten nach dem Trampelpfad Ausschau, der uns zum rot glühenden Bergpanorama führen sollte. Der Geheimtipp war so geheim, dass wir ihn nicht fanden. Stattdessen fanden wir ein paar Gesteinsformationen die wie riesige Champignons aussahen und erfuhren später, dass dies in der Gegen verbreitet und als Hoodoos bezeichnet werden. Trotz des fehlenden Rim Rock war der Ausflug ein voller Erfolg, denn der Pfad verlief querfeldein ohne eine einzige Menschenseele weit und breit. Wir konnten so nochmal den wilden Westen der USA erleben und uns dabei wieder darauf besinnen was auf so einer langen Reise wirklich zählt:
At any given moment, you have the power to say – this is not how the story is going to end.
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